Schweizer Schiesssportverband

Wie man sich in der Dunkelheit über das Gehör ein «Zielbild» macht

Ein treffsicheres Blindenschützen-Nachwuchstalent: Lennox Dellomonaco.

Ein treffsicheres Blindenschützen-Nachwuchstalent: Lennox Dellomonaco.

Die international erfolgreiche Blindenschützin Claudia Kunz-Inderkummen führte den Vorstand des Zürcher Schiesssportverbands ZHSV in die beeindruckende Welt des Blindenschiessen ein.

Heinz Reichle weiss, wovon er spricht. An unzähligen nationalen und internationalen Wettkämpfen hat er als Begleiter, Betreuer und Trainer teilgenommen. Er kennt die Welt des Blindenschiessens wie kein anderer. «Was für die sehenden Athletinnen und Athleten das Auge ist, ist bei den blinden Sportlerinnen und Sportlern das Gehör. Alles andere – Konzentration, Stellung, innerer und äusserer Anschlag, Schussabgabe, etc. – ist identisch.» 

 

Der Sound entscheidet

Die Zielscheibe und das Gewehr sind durch eine elektronische Vorrichtung miteinander verbunden. Der Sensor auf der Zielscheibe erfasst die Position des Gewehrs und gibt diese an die auf dem Gewehr montierte Apparatur zurück. Das Signal wird in ein akustisches Signal umgesetzt, das die Schützin bzw. der Schütze über Kopfhörer als «Zielbild» hört. Je höher der Ton, desto näher beim Zentrum.

 

Staunende Gäste

Nachdem die Gäste den Ausführungen von Reichle aufmerksam gefolgt waren, wurden sie Zeugen von sportlichen Höchstleistungen: Die Blindensportschützin Claudia Kunz-Inderkummen (Uster) und der zehnjährige Nachwuchsschütze Lennox Dellomonaco (Horgen) gingen in Stellung und präsentierten den interessierten Gästen, wie Blindenschiessen funktioniert.

 

Der erzielte Schusswert und die Schusslage wird der Schützin bzw. dem Schützen durch den Betreuer mittels Berührungen auf dem Arm und dem Rücken mitgeteilt. Dabei muss man nochmals bedenken, dass die Athletin bzw. der Athlet bei der Schussauslösung zwar hört, wie nahe die Schusslinie dem Scheibenzentrum war, aber ob diese zu hoch, zu tief oder seitlich nicht ganz korrekt war, wird erst durch die Auswertung des Schusses erkannt.

 

Kunz-Inderkummen wusste die Gäste mit ihren Schussfolgen zu beeindrucken und die ZHSV-Vorstandsmitglieder staunten nicht schlecht über die Treffsicherheit der Spitzenschützin.

 

Der WOW-Effekt

Im Dezember 2022 besuchte der heute zehnjährige in Horgen wohnhafte Lennox Dellomonaco die Swiss Handicap Messe in Basel und kam darüber zum ersten mal in Kontakt mit dem Blindenschiesssport. Er war begeistert und bereits im Januar 2023 absolvierte er sein erstes Training - unter der fachkundigen Leitung von Heinz Reichle.

 

Reichle erkannte das Talent des jungen Sportlers, was dazu führte, das Dellomonaco von seiner Mutter regelmässig zu den Trainings begleitet wurde und die Lektionen mit grossem Interesse und beinahe unbändiger Begeisterung absolvierte.

«Lennox hat ein doppeltes Handicap. Neben seiner starken Sehbeeinträchtigung ist er zusätzlich auch noch auf seinen Rollstuhl angewiesen. Umso erstaunter war ich über das grosse Talent von Lennox. In kürzester Zeit ist es ihm gelungen, sich mit dem Schiesssport vertraut zu machen und seine Schiessleistungen von Training zu Training zu steigern.», wusste Reichle mit sichtlichem Stolz zu berichten und ergänzte weiter: «Wenn er so weitermacht, so ist das Ziel, an Kantonal- und/oder Schweizermeisterschaften teilzunehmen, nicht mehr weit entfernt.»

Schuss um Schuss platzierte Dellomonaco im Scheibenzentrum und die Wertungen von 10.2 Punkten und höher waren keine Seltenheit.

Die Treffsicherheit und die ruhige und hochkonzentrierte Art des jungen Sportschützen entlockte mehreren Gästen ein hörbares «Wow» und wurde nach Abschluss der eindrücklichen Vorführung mit Applaus quittiert.

 

Eigene Erfahrung

Eigentlich sah das ganze simpel und einfach aus. Mit Leichtigkeit platzierten Kunz-Inderkummen und Dellomonaco ihre Schüsse ins Zentrum der Zielscheibe. Aber dass es alles andere als einfach ist, mussten die Gäste, für die der Umgang mit dem Luftgewehr eigentlich eine gewohnte Angelegenheit ist, dann am eigenen Leib erfahren.

Die ZHSV-Vorstandsmitglieder erhielten die Gelegenheit, selbst ein paar Schüsse abzugeben – sich ganz auf das Gehör verlassend und ohne den Einsatz einer optischen Korrekturmöglichkeit.

«Schwarztreffer» waren für die Gäste bereits ein Erfolg und Schüsse, die keine Wertung ergaben, keine Seltenheit. Umso beeindruckender wurden die von Kunz-Inderkummen und Dellomonaco während der Vorführung gezeigten Leistungen von den Gästen eingestuft.

Und alle waren sich einig: Die Leistungen, die die Blindenschützen erbringen, sind Leistungen auf höchstem sportlichem Niveau.

 

Ungewisse Zukunft

Die sportliche Zukunft auf internationalem Parkett ist für Claudia Kunz-Inderkummen derzeit ungewiss. PluSport, der Dachverband für den schweizerischen Behindertensport und nach eigenen Worten «das Kompetenzzentrum für ein breitgefächertes und zeitgemässes Angebot an attraktiven Sportmöglichkeiten» hat sich in diesem Jahr entschieden, Claudia Kunz-Inderkummen ohne Nennung von Gründen ab dem 01.01.2024 nicht mehr zu unterstützen. 

Die gleiche Erfahrung hat der Nationaltrainer VI Shooting Heinz Reichle ebenfalls machen müssen. Die Zusammenarbeit mit ihm wurde – ebenfalls ohne Begründing – per 31.12.2023 gekündigt.

Auf mehrfache Nachfrage wurde Reichle dann von PluSport mitgeteilt, dass es sich um eine strategische Entscheidung handle und man sich bei PluSport entschieden habe, Sportarten, die nicht paralympisch sind, nicht weiter zu unterstützen. Eine Begründung, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Ist die Unterstützung von nicht paralympischen Disziplinen nicht eine der Kernaufgaben von PluSport? Wie sollen Aussagen, wie «Wir setzen uns für Athletinnen und Athleten ein, damit diese an nationalen und internationalen Wettbewerben teilnehmen können.» oder «Innovative Sportförderung: Entwicklung neuer Angebote für neue Zielgruppen», die auf der Webseite von PluSport nachzulesen sind, interpretiert werden?
PluSport setzt sich für den Behindertensport in der Schweiz ein. Keine Frage. Aber im Umgang mit VI-Shooting hat sich PluSport definitiv nicht mit Ruhm bekleckert. (Markus Roth)

 

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